Gerade mal ein paar Wochen war Rüdiger Müller neuer Dirigent der Endinger Stadtmusik. Dann kam Corona. Nur ein Konzert konnte er 2020 geben. Denn digital Dirigieren ist keine Option.
Hätte jemand Rüdiger Müller eine Bratpfanne an den Kopf gehauen, hätte ihn dies vermutlich weniger ausgebremst als Corona. Am 9. Dezember vor einem Jahr hat er als Dirigent die Stadtmusik Endingen übernommen, voller Elan und Freude auf die Arbeit, mit dem durch den überraschenden Dirigentenwechsel etwas angeschlagenen Orchester wieder voll durchzustarten. Doch dann, nach nicht einmal einer Handvoll Proben, kam Corona. Und mit Corona der Stillstand. Wochenlanger, monatelanger Stillstand − und noch ist kein Ende abzusehen.
Von Oktober bis Weihnachten herrscht sonst Hochbetrieb
"Es ist mir so schwergefallen, loszulassen", bekennt Rüdiger Müller offen. Auch die Musikvereine in Oberharmersbach und Heitersheim sieht er nicht mehr, aber diese beiden Orchester dirigiert er schon länger, kennt die Musikerinnen und Musiker. Und Endingen? Das liegt ihm im Magen. "Dass ich nichts machen konnte, niemanden richtig kennenlernen konnte, das ist mit das Allerschlimmste", sagt er.
Als Vollblutmusiker und Dirigent ist er es außerdem nicht gewohnt, jeden Abend zuhause zu sein. Von Oktober bis Weihnachten haben Dirigenten mit all den Konzerten normalerweise Hochbetrieb − in diesem Jahr: nichts, überhaupt nichts.
Das war’s jetzt erstmal
Am Wochenende hat er Jungmusikern das bronzene Leistungszeichen abgenommen. Online. Seinen Dirigentenlehrgang hat er in einem riesigen Raum, mit jeweils nur einem Dirigenten bei offenen Fenstern abgehalten. Und ist beschwingt nach Hause gegangen, weil er endlich wieder einmal arbeiten konnte. Doch das war‘s jetzt erst einmal.
Strenge Hygieneregeln einzuhalten, ist für Rüdiger Müller eine Selbstverständlichkeit, auch wenn er seine Arbeit und den Kontakt zu den Musikern noch so sehr vermisst. Wie viele Menschen hat er großen Respekt vor dem Virus. Als Proben nach strengen Regeln noch erlaubt waren, war er ständig von der Angst getrieben, Superspreader zu sein, ohne es zu merken − einfach, weil er zu so vielen Musikern und Orchestern Kontakt hatte.
Im ersten Lockdown im Frühjahr hat Rüdiger Müller noch geplant, was er mit der Endinger Stadtmusik erreichen möchte, hat Musikstücke ausgewählt und Konzertprogramme zusammengestellt. Dann ging nichts. Ende September sollte es dann ein musikalisches Picknick in den Weinbergen geben − doch das fiel dem Regen zum Opfer. Als Ersatz fanden zwei zeitlich streng begrenzte Konzerte in der Stadthalle statt − mit großem Abstand. Das war‘s.
Inzwischen plant Rüdiger Müller kaum noch
Jetzt, im zweiten Lockdown ohne Proben und Konzerte, plant Rüdiger Müller kaum noch. Er hält sich über alle Verordnungen, die ab und an zum Haare raufen seien, auf dem Laufenden und hält Kontakt zu Kollegen. Dass für den Einzelunterricht der Jungmusiker und die Musikschulen das Kultusministerium zuständig ist, für Vereine dagegen das Wissenschaftsministerium, mache die Sache nicht einfacher, sagt Rüdiger Müller. Wenigstens erhalten die Schüler der Stadtmusik ihren Einzelunterricht.
Das Frühjahrskonzert der Stadtmusik steht am 28. März im Veranstaltungskalender, doch daran glaubt Rüdiger Müller angesichts der momentanen Coronazahlen nicht. Ganz abgesehen davon müsste er Anfang Februar mit den Proben dafür beginnen: "Acht Wochen Vorbereitungszeit sollten es schon sein", meint er. Proben Anfang Februar? Rüdiger Müller schüttelt den Kopf: Auch daran glaubt er nicht. Mit seinen drei Orchestern hat er trotz allem die Jahresplanung 2021 gemacht − vage und auf Verdacht.
Mit das größte Problem für ihn: die Musiker zu motivieren, ihre Begeisterung für das Spiel im Orchester aufrecht zu erhalten. "Das ist einfach verdammt schwer", sagt er bekümmert. Dass die Kinder und Jugendlichen aus dem Vororchester und der Jugendkapelle so begeistert bei der Sache waren, als noch geprobt werden durfte, hat ihn überrascht und gefreut. Sowohl ihnen als auch den erwachsenen Musikern zollt er großes Lob, was die Einhaltung der strengen Hygieneregeln bei den wenigen Proben betrifft: "Das hat super geklappt."
Dirigieren geht am Bildschirm nicht
Dirigieren digital? Keine Option für Rüdiger Müller. Der Kontakt zu den Musikern, das Miteinander, das Hören, das Gemeinsame sei wichtig. Abgesehen davon komme es beim Dirigieren auf jede noch so kleine Handbewegung an − werde die am Bildschirm missverstanden, "schleichen sich Fehler ein, die lange sitzen."
Was Rüdiger Müller wirklich will, ist arbeiten, endlich wieder arbeiten, den Stillstand beenden. Und deshalb wünscht er sich so sehr, dass endlich alle Menschen die Hygieneregeln gewissenhaft einhalten − damit alle Musiker möglichst bald dem Virus den Marsch blasen können.